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Mein erster Schreibversuch (links), die dazu gehörige Textpassage aus meinem Buch Seite 28/29.
Drei Tage nach meinem Schlaganfall bekam ich einen Schreibblock und Filzstifte
„Für mich war die Idee, meine Gedanken in schriftlicher Form auszudrücken, eine große Erleuchtung. An Schreiben hatte ich noch nicht gedacht und guten Mutes setzte ich an, es zu tun: Aber was war denn das? Ich schrieb: „Es fiel Eimer, Emsswa, Es besch auf fiel ein.“ Ich erinnere mich noch genau an jene Worte, mit denen ich ausdrücken wollte: „Würdet Ihr bitte einmal nach der Krankenschwester klingeln. Ich brauche eine Bettpfanne“. Entsetzt sah ich Victor und Hartwig an: Ich wusste nicht mehr, wie man die deutsche Sprache schreibt. Hartwig war davon nicht überrascht. Er meinte, ich solle die Wörter schreiben, die mir gerade einfallen. Ich zögerte und suchte nach Wörtern, dann schrieb ich mit der linken Hand unter großer geistiger Anstrengung in krakeliger Schrift: „Nuu, Uhn, Einnahne, Fiel, OHß, Euer, Schubert, Eiu eineM Verru, RiEN, Ens“.
Die zweite Seite vom ersten Schreibversuch, als Victor mich nach meinem Namen fragte. Er schrieb unseren Nachnamen als Vorlage zweimal, in Groß- und Kleinbuchstaben.
„Wie heißt Du denn jetzt?“, meinte er. Ich setzte an, schrieb Sce und kam dann nicht weiter. Stattdessen skizzierte ich aus eigenem Antrieb und mit großer Konzentration eine schöne Frau und schrieb dann ecce (lat. siehe da). Viele Jahre später, als ich dieses Ereignis beschrieb, beendete ich die Erzählung mit folgenden Sätzen: „Physisch erschöpft sank ich in meinem Bett zusammen. Das Leben ging seinen Gang weiter, nur ich hatte daran keinen Anteil mehr.“
„Doch eine resignative Stimmung hatte ich damals nicht. Wir waren nicht niedergedrückt, und die Stimmung war durchaus heiter. Ich war zwar entsetzt über mich, dass ich nicht schreiben konnte. Mir war jetzt voll bewusst, dass ich weder sprechen noch schreiben konnte. Aber mich plagten Gedanken über meinen Verlust kaum. Meine Stimmung war eher neutral: weder hoch noch tief. Victor – wie früher auch – tröstete mich und machte mir Hoffnung, dass sich meine Lage bessern würde.“
Schreiben und Malen als Kommunikationsversuch
Seite 39/40
Nach ein paar Tagen im Krankenhaus war es mir ein Anliegen, dass meine Schulklasse ihre Englischarbeit, die sie vor den Osterferien geschriebene hatte, zurückbekommt. Dafür nahm ich den Schreibblock zur Hand, um meine Schulklasse zu beschreiben:
„Das war gar nicht so einfach: Mein Gehirn war leer und es kamen keine weiteren Namen von Kindern. Dann schrieb ich: „Fiedfe“ dorthin – so ähnlich hieß meine Kollegin. Nach dieser Kraftanstrengung wurde ich unkonzentriert und schrieb auf: „Einer erwahren“. Die „Übersetzung“ des Gedankens in die Sprache kam nicht zustande. Wellenweise tauchte dieser gewisse Gedanke in meinen Kopf auf und war wieder verschwunden, bevor ich ihn schreiben konnte. Ich versuchte, mich noch einmal wieder an den Namen der Kollegin zu erinnern, und schrieb: „ANKE Fieder“. Plötzlich hatte ich eine Idee: Ich malte sechs Strichmännchen, Weiblein und Männlein, auf; das sollte die Schulklasse sein. Erwartungsvoll blickte ich Victor an. Er rätselte und rätselte und gab es dann auf. Am nächsten Tag gab ich ihm den Block wieder. Er erriet es nicht. Am folgenden Tag besuchte mich Lisa. Ich deutete auf den Block, und Victor zeigte ihr den Zettel: „Wirst Du daraus schlau, was diese Malerei zu bedeuten hat?“ „Soll das eine Schulklasse sein?“, fragte sie mich nach einiger Überlegung. Ich schlug die Augen zu und seufzte vor Erleichterung. „Hast Du vielleicht eine Klassenarbeit zu Hause?“ Ich deutete auf den Namen der Kollegin. „Anke Fieder, sie soll die Klassenarbeiten mit in die Schule nehmen?“, meinte sie. Victor fand die Klassenarbeiten zu Hause, suchte die Telefonnummer aus unserem Telefonbuch heraus und rief die Kollegin an.“
„Bei schönem Wetter trug mich Victor in das Auto die 80 Stufen hinunter und den Rollstuhl hinterher. Dann spazierten wir mit unserem Besuch in der wunderschönen Umgebung von Kiel an Seen entlang, Westensee, Bothkamper See, am Nord-Ostsee-Kanal, und ich bewunderte die Natur, ich bewunderte […]“
„In den folgenden Tagen kam Pat häufig bei uns vorbei. Sie war phänomenal, sprich: Sie war sehr freundlich, liebevoll und behandelte mich wie einen normalen Menschen. Meine rechten Gliedmaßen sprangen zum neuen Leben unter ihren lenkenden Handgriffen an. Ich war begeistert. Während sie mich manipulierte, murmelte sie vor sich hin mit leiser Stimme. […]
„Zum Abschied lud Victor unsere neuen Freunde zum Essen ein: Pat und Gisela, Veronika, Edith, Jörn und Hermann. Er kochte eine indische Mahlzeit. Es brachte ihm sehr viel Spaß zu kochen, so sah ich das. Pat und Gisela hingegen wunderten sich, warum ich nicht kochte. „Didn´t you learn cooking in the occupational therapy?“, fragte mich Pat.[…]
„In den folgenden Tagen kam Pat häufig bei uns vorbei. Sie war phänomenal, sprich: Sie war sehr freundlich, liebevoll und behandelte mich wie einen normalen Menschen. Meine rechten Gliedmaßen sprangen zum neuen Leben unter ihren lenkenden Handgriffen an. Ich war begeistert. Während sie mich manipulierte, murmelte sie vor sich hin mit leiser Stimme. […]
„Die Krankengymnastin Veronika, die mich am Nachmittag behandelte, fragte, ob ich Wassertherapie machen wollte. Ich hatte das Schwimmen schon vermisst. Ich bejahte begeistert und wurde in das 26 Grad warme Wasser geführt. Veronika machte mir Übungen vor, die wie Ballett aussahen. […]
„In den folgenden Tagen kam Pat häufig bei uns vorbei. Sie war phänomenal, sprich: Sie war sehr freundlich, liebevoll und behandelte mich wie einen normalen Menschen. Meine rechten Gliedmaßen sprangen zum neuen Leben unter ihren lenkenden Handgriffen an. Ich war begeistert. Während sie mich manipulierte, murmelte sie vor sich hin mit leiser Stimme. […]
„Auf Anhieb fand er mit seinen Daumen- und Fingerspitzen die Stellen an meinem Arm und an meiner Schulter, wo es mir höllisch wehtat. Es seien Meridianpunkte, erklärte er. Ich schrie, er drückte weiter und schrie mit. Nach zehnminütiger Tortur ließ er los […]
„Meine Krankengymnastin hatte mir nämlich empfohlen, barfuß im Sand zu laufen, um die Gelenke in meinem Fuß zu bewegen. Das Barfußlaufen auf einem normalen Boden bereitete mir Schmerzen, weil mein Fuß sich zur „Faust“ verkrampfte und vorne herunterhing, wenn ich den Fuß hochhob.“
„Mittlerweile (1985) war ich soweit hergestellt, dass wir es wagten, eine Reise zu der Familie meines Mannes in Bhimtal, Indien zu unternehmen. Victor hatte Heimweh. […] Bhimtal liegt im Fußgebirge des Himalajas in Kumaon, unmittelbar westlich von Nepal.“
„Nun begab sich der Priester an meine Behandlung. Zunächst wedelte er mit einem Zweig eines bestimmten Strauchs (Prinsepia utilis) über Arm und Bein, während er monoton Mantras auf Sanskrit murmelte. Er ließ ein Brennnessel-Öl zubereiten […]
„Meine Fotomappe mit den Therapiebildern wurde unter den Zuhörern herumgereicht, während ich von der Rehabilitation in der Schweiz berichtete. Victor und ich waren ein gut eingespieltes Team. Die ersten anderthalb Stunden waren im Nu vorbei. Während der Zigarettenpause fragte ein Student, wie oft wir schon aufgetreten wären.

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Auf meinem Weg in die Selbständigkeit habe ich viele Erfahrungen gemacht, die andere interessieren könnten:
Damit meine ich die ähnlich Betroffenen, ihre Angehörigen, das medizinische Personal und die Menschen, denen es geschehen könnte. Schließlich sollen in Deutschland 200.000 Personen leben, die unter Sprachlosigkeit (Aphasie) leiden.
Leider gibt es keine Bilder von mir aus der ersten Etappe des Weges aus der Sprachlosigkeit. Ich wusste, dass meine rechte Gesichtshälfte schlaff war und wollte nicht so fotografiert werden. Auch das übliche Krankenhausbild wollte ich verweigern. Mein Mund war derart gelähmt, dass ich aus einer Schnabeltasse trinken musste, und bekam Dampf ins Gesicht geblasen, damit ich nicht austrockne. Meine Stirn war durch tiefe Narben entstellt.
Im nachhinein bedauere ich ein bisschen, dass ich nicht auf meinem Mann Victor gehört habe, der damals vorschlug „vorher“-Bilder zu machen, um nachher zeigen zu können, wie weit ich seitdem gekommen bin. In den ersten Wochen nach dem Unfall ging es mir elendig, denn ich hatte etliche Knochenbrüche zusätzlich zum Schlaganfall. Alle diese Einzelheiten habe ich minutiös in meinem Buch geschildert, um den Beginn des Wegs zu beschreiben.
Mein Mann hat frühzeitig erkannt, dass ich innerlich ganz war, aber dies sprachlich nicht äußern konnte. Es hat Monate gedauert, bis ich einige der Wörter fand, die ich brauchte, um mich auszudrücken.
Empfohlene Informationsquellen:
Stiftung deutscher Schlaganfall-Hilfe: https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/start
Bundesverband Aphasie e.V.: https://aphasiker.de/



