25.04.1981
„Für mich war die Idee, meine Gedanken in schriftlicher Form auszudrücken, eine große Erleuchtung. An Schreiben hatte ich noch nicht gedacht und guten Mutes setzte ich an, es zu tun: Aber was war denn das?“
Mein erster Schreibversuch, die dazu gehörige Textpassage aus meinem Buch Seite 28/29.
Drei Tage nach meinem Schlaganfall bekam ich einen Schreibblock und Filzstifte:
„Für mich war die Idee, meine Gedanken in schriftlicher Form auszudrücken, eine große Erleuchtung. An Schreiben hatte ich noch nicht gedacht und guten Mutes setzte ich an, es zu tun: Aber was war denn das? Ich schrieb: „Es fiel Eimer, Emsswa, Es besch auf fiel ein.“ Ich erinnere mich noch genau an jene Worte, mit denen ich ausdrücken wollte: „Würdet Ihr bitte einmal nach der Krankenschwester klingeln. Ich brauche eine Bettpfanne“. Entsetzt sah ich Victor und Hartwig an: Ich wusste nicht mehr, wie man die deutsche Sprache schreibt. Hartwig war davon nicht überrascht. Er meinte, ich solle die Wörter schreiben, die mir gerade einfallen. Ich zögerte und suchte nach Wörtern, dann schrieb ich mit der linken Hand unter großer geistiger Anstrengung in krakeliger Schrift: „Nuu, Uhn, Einnahne, Fiel, OHß, Euer, Schubert, Eiu eineM Verru, RiEN, Ens“. (Textpassage aus meinem Buch Seite 28/29)

Die zweite Seite vom ersten Schreibversuch, als Victor mich nach meinem Namen fragte. Er schrieb unseren Nachnamen als Vorlage zweimal, in Groß- und Kleinbuchstaben.
„Wie heißt Du denn jetzt?“, meinte er. Ich setzte an, schrieb Sce und kam dann nicht weiter. Stattdessen skizzierte ich aus eigenem Antrieb und mit großer Konzentration eine schöne Frau und schrieb dann ecce (lat. siehe da). Viele Jahre später, als ich dieses Ereignis beschrieb, beendete ich die Erzählung mit folgenden Sätzen: „Physisch erschöpft sank ich in meinem Bett zusammen. Das Leben ging seinen Gang weiter, nur ich hatte daran keinen Anteil mehr.“
„Doch eine resignative Stimmung hatte ich damals nicht. Wir waren nicht niedergedrückt, und die Stimmung war durchaus heiter. Ich war zwar entsetzt über mich, dass ich nicht schreiben konnte. Mir war jetzt voll bewusst, dass ich weder sprechen noch schreiben konnte. Aber mich plagten Gedanken über meinen Verlust kaum. Meine Stimmung war eher neutral: weder hoch noch tief. Victor – wie früher auch – tröstete mich und machte mir Hoffnung, dass sich meine Lage bessern würde.“
Schreiben und Malen als Kommunikationsversuch
Seite 39/40
Nach ein paar Tagen im Krankenhaus war es mir ein Anliegen, dass meine Schulklasse ihre Englischarbeit, die sie vor den Osterferien geschriebene hatte, zurückbekommt. Dafür nahm ich den Schreibblock zur Hand, um meine Schulklasse zu beschreiben:

„Das war gar nicht so einfach: Mein Gehirn war leer und es kamen keine weiteren Namen von Kindern. Dann schrieb ich: „Fiedfe“ dorthin – so ähnlich hieß meine Kollegin. Nach dieser Kraftanstrengung wurde ich unkonzentriert und schrieb auf: „Einer erwahren“. Die „Übersetzung“ des Gedankens in die Sprache kam nicht zustande. Wellenweise tauchte dieser gewisse Gedanke in meinen Kopf auf und war wieder verschwunden, bevor ich ihn schreiben konnte. Ich versuchte, mich noch einmal wieder an den Namen der Kollegin zu erinnern, und schrieb: „ANKE Fieder“. Plötzlich hatte ich eine Idee: Ich malte sechs Strichmännchen, Weiblein und Männlein, auf; das sollte die Schulklasse sein. Erwartungsvoll blickte ich Victor an. Er rätselte und rätselte und gab es dann auf. Am nächsten Tag gab ich ihm den Block wieder. Er erriet es nicht. Am folgenden Tag besuchte mich Lisa. Ich deutete auf den Block, und Victor zeigte ihr den Zettel: „Wirst Du daraus schlau, was diese Malerei zu bedeuten hat?“ „Soll das eine Schulklasse sein?“, fragte sie mich nach einiger Überlegung. Ich schlug die Augen zu und seufzte vor Erleichterung. „Hast Du vielleicht eine Klassenarbeit zu Hause?“ Ich deutete auf den Namen der Kollegin. „Anke Fieder, sie soll die Klassenarbeiten mit in die Schule nehmen?“, meinte sie. Victor fand die Klassenarbeiten zu Hause, suchte die Telefonnummer aus unserem Telefonbuch heraus und rief die Kollegin an.“
